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Zwischen Hirschen und Matcha-Tee

Der letzte Tag in Kyoto beginnt früh und führt sogleich raus aus der Stadt. Der Zug rattert durch die Vororte, die Sonne lässt das Regenwetter endlich vergessen, und zwei leckere Onigiri füllen meinen Magen. Das erste Ziel: die Stadt Nara, wo angeblich mehr Sika-Hirsche als Menschen die Straßen bevölkern.

Schon am Parkeingang warten die Tiere – neugierig, frech und erstaunlich zahm. Jedenfalls so lange, wie man ihnen die „Shika-Senbei“, die es an kleinen Ständen in der ganzen Stadt zu kaufen gibt, sofort aushändigt. Das sind Kekse aus Reismehl, extra für die Hirsche.

Wenn man sich beim Füttern vor ihnen verbeugt, ahmen sie die Geste und verbeugen sich ebenfalls – ein Verhalten, das wohl aus jahrzehntelanger Konditionierung resultiert. Neben mir macht sich ein Mann einen Spaß, zeigt den Tieren die Kekse und zieht sie weg, sobald sie danach schnappen. Keine gute Idee. Die Hirsche verfolgen ihn als Gruppe, knabbern an seinen Shorts und trampeln ihn fast nieder. Offenbar können sie auch anders als süß.


Die Sika-Hirsche in Nara sind nicht nur in Parks anzutreffen.
Die Sika-Hirsche in Nara sind nicht nur in Parks anzutreffen.

Gerade die Kleinsten scheinen sie auf dem Kieker zu haben. Regelmäßig höre ich irgendwo ein Kleinkind kreischen, weil es von einem Hirsch verfolgt oder geschubst wird. Mehrere Schilder verweisen auf Vorsicht vor einem „Knock-Down“ oder "Kick" durch die Huftiere. Kurios ist auch, dass die als heilig geltenden Nara-Hirsche nicht nur in einem oder zwei Parks unterwegs sind, sondern in der gesamten Stadt. Wirklich unterhaltsam anzusehen, wie sie mit den Touristen interagieren, Straßen queren (sogar wenn die Ampel rot zeigt) und allen klar machen, wer hier das Sagen hat. Andererseits ist es auch etwas befremdlich, wie eigentlich scheue Tiere zwischen Essens-Buden Mittagsschlaf halten.


Vorsicht vor einem "Knock-Down".
Vorsicht vor einem "Knock-Down".

Am Nachmittag geht es mit dem Zug weiter nach Uji. Der kleine Ort am gleichnamigen Fluss wird die Hauptstadt des Matcha genannt. Schon im 12. Jahrhundert brachten buddhistische Mönche die ersten Teesamen aus China hierher. Das Klima und die Hügel rund um Uji boten ideale Bedingungen, und schnell entwickelte sich eine eigene Teetradition. Im 16. Jahrhundert wurde Matcha eng mit der Teezeremonie verbunden – eine Handwerkskunst, die in Uji bis heute gepflegt wird. Wer mehr über die Tradition erfahren möchte, kann das Matcha-Museum besuchen. Die Ausstellung ist zwar fast ausschließlich auf Japanisch, aber die Fotos und Filme sind sehenswert.



In der westlichen Welt ist Matcha hauptsächlich als Trendgetränk bekannt, nicht als klassischer Tee. „Iced Matcha Latte, zu spät beim Pilates“, singt Deutschrapperin Shirin David in einem ihrer größten Hits. Hier in Japan folgen Teezeremonien den Prinzipien Harmonie, Respekt, Reinheit und Ruhe und verwandeln eine einfache Schale Tee in ein bewusstes Ritual. Jede Geste ist bedacht, jeder Moment von Stille bedeutungsvoll. Für Gastgeber und Gäste entsteht ein gemeinsamer Raum der Achtsamkeit, in dem nicht nur Tee geteilt wird, sondern auch Respekt und ein Stück lebendige Tradition. Leider sind in Uji an diesem Tag schon alle Teezeremonien ausgebucht – vielleicht klappt es ja in der nächsten Stadt. Letzendlich genießen wir unseren Matcha dann doch so wie Shirin.


 
 
 

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